Hunter S. Thompson
Die Rolling-Stone-Jahre
KEN. Was dem deutschen Journalismus Egon Erwin Kisch (1885-1948) ist, das ist den Amerikanern in etwa Hunter S. Thompson (1937-2005). Kisch wurde als »rasender Reporter« einer der Bedeutendsten seiner Zunft, Thompson schaffte den Durchbruch als Journalist und Schriftsteller vor allem, weil er für das legendäre Magazin Rolling Stone raste.
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So leidenschaftlich wie er arbeitete, so kompromisslos ging Hunter S. Thompson anscheinend mit sich selbst um. Er starb nicht an Altersschwäche, was mit 68 durchaus im Rahmen gewesen wäre. Er erschoss sich 2005 an seinem Schreibtisch in Woody Creek. Für seinen Stil prägte Thompsons Freund Bill Cardoso den Begriff »Gonzo-Jounalismus«: höchst subjektiv und entfesselt. Sein Kollege Tom Wolfe nannte ihn gleichermaßen »brillant« und »skandalös«.
»Gonzo« nach Art des Hunter S. - höchst subjektiv und leidenschaftlich
Spätestens seit Egon Erwin Kisch wissen wir, dass die Chronologie eines Feuerwehreinsatzes in der Reportage eher langweilig wäre. Manchmal muss der Autor die Ereignisse in einer anderen Reihenfolge erzählen und vom realen Ereignis abweichen, damit die Geschichte spannend und die Botschaft deutlich bleibt. Hunter S. Thompson schreibt genauso: er berichtet nicht nur, sondern »stellt« die Schrift.
Wie genau Thompson dabei von der Redaktion des Rolling Stone eingebunden wurde, ist ein Lehrstück für eine redaktionelle Hochkultur. Das Magazin gönnte sich diesen Ausnahmereporter regelrecht, nachdem er 1970 Jann Wenner, dem damaligen Herausgeber der Zeitschrift, die Mitarbeit anbot. Thompson enttäuschte den Rolling Stone nicht. Der Briefwechsel zu den Reportagen ist in »Die Rolling-Stone-Jahre« teilweise wiedergeben und dokumentiert, wie Wenner dazu beitrug, dass Thompson seine Geschichten überhaupt produzieren konnte.
So entstanden umfangreiche Reportagen über die Motorrad-Gang Hells Angels oder die Kandidatur für den Posten des Sheriffs in Aspen, Colorado. Stets konnte Thompson so sehr in die Szene eingehen, dass er als »einer von ihnen« schrieb. Den Rosenkrieg des Verlegererbes Herbert Pulitzer und seiner Frau Roxanne begleitete Hunter S. Thompson auf diese Weise ebenso wie das Karriereende des Boxers Muhammad Ali. Oder ein Randthema wie Polo, das »Golf auf Pferden« für neureiche Amerikaner.
Thompson machte aus einem eher langweiligen Nebenthema oder einem, das sich über Monate hinzog, literarische Reportagen. Er baute sie, wie seine Hells-Angels-Geschichte, zu Büchern aus, die sogar als Filmvorlage brauchbar waren. Er war gut, und das waren und sind andere unter seinen Bedingungen auch. Thompson hatte jedoch zusätzlich einen Ikonenstatus, der ihm seine schriftstellerischen Freiheiten erlaubte. Und er wusste sie zu nutzen.
Trotz seiner Privilegien war er nicht nur als Soldat in Vietnam höchst politisch. Er verfasste Reportagen über die Wahlkämpfe von Richard Nixon, Gerald Ford, Jimmy Carter bis hin zu Bill Clinton, die locker ganze Magazine füllten. Epen von 20.000 Wörtern und mehr - kein Problem, wenn sie von »Hunter S.« waren. Er selbst warf sich dabei am meisten vor, dass er in seinen Geschichten immer wieder auf Abwege geriet.
Dieses schriftstellerische Nachdenken über sein Tun während des Tuns wurde als Teil seiner persönlichen Note geduldet. Schließlich erlebte Hunter S. Thompson sogar mit, dass sich ein Gesprächspartner vor seinen Augen erschoss. Und es gehört dazu, dass er im Rahmen seiner Recherchen vor der stürmenden Polizei flüchten musste, wie 1955 als Jugendlicher nach einem Raub, für den er zu 60 Tagen Gefängnis verurteilt worden war. Thompson war immer ganz dicht dran an seinem Thema, wollte es gewissermaßen spüren - so wie Günter Wallraff, ein anderer deutscher Gonzo, in »Ganz unten«.
Vielleicht sind die Wahlkampfgeschichten in »Die Rolling-Stone-Jahre« als Zeitzeugnisse schon bald überholt. Und dass Herbert und Roxanne Pulitzer Geschirr zerdepperten, interessiert schon heute nur noch, wer wissen will, aus welcher Tradition der »Pulitzer-Preis« für herausragenden Journalismus stammt. Eine zeitlose Lehrstunde für angehende Journalisten bleiben die Geschichten Hunter S. Thompsons in diesem Band vor allem wegen seines Muts so zu schreiben, wie ihm der Schnabel gewachsen war - oder der Schnabel der Menschen, an deren Leben er für seine Geschichten aktiv teilnahm.
Seine Redakteure fanden genau das gut: Hunter S. Thompson habe Courage und Verstand besessen. Dabei sei er eigentlich ein Vertretertyp mit massenhaft Talent gewesen - und dazu auch noch leicht meschugge. Toll, wenn man so schreiben kann und darf. Schade, wenn so ein Leben dann doch mit einem selbstgemachten Kopfschuss endet.