Jane McGonigal
Besser als die Wirklichkeit!
KEN. Die Nation lachte schallend, als Otto Waalkes seinerzeit den legendären Ulk brachte: »Rauchen ist gesund! - gezeichnet: Dr. Marlboro.« Jetzt sagt Jane McGonigal, dass Computerspiele nicht nur besser sind als die Wirklichkeit, sondern dass sie diese Welt sogar besser machen. Klare Worte aus der Feder der international geachteten Top-Ten-Frau unter den Spieledesignern.
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Jane McGonigal hat sicher Recht, dass Computerspiele die Welt verändern, aber ob wirklich zum Positiven? Ihre Analyse lässt daran zweifeln, dass das Gemeinschaftserlebnis und die Zusammenarbeit zum Beispiel in »World of Warcraft« (WoW) zuverlässige Modelle für das richtige Leben sind. Dort wird die Welt, die den Spiele-Flüchtlingen mundgerechte Erfolgserlebnisse verweigert, von ihnen wohl kaum in gleichem Maß so gestaltet, dass sie ihnen besser gefällt: Selbst für die härtesten »Gamer« hat der Tag eben nur 24 Stunden.
Von Computerspielen profitieren und die Welt verändern?
Von Mozart heißt es, er habe täglich bis zum späten Nachmittag Spiele gespielt. Erst danach habe er komponiert wie ein Wahnsinniger und dabei trotz seines frühen Tods ein Gesamtwerk geschaffen, das handschriftlich zu kopieren jemanden 30 Jahre lang 24 Stunden täglich beschäftigen würde. Ich vermute, dass von den zig Millionen Gamern weltweit die wenigsten bereit sind, die reale Welt gleichermaßen produktiv zu verändern wie Mozart und selbst weniger Begabte.
Es ist bei alldem ein durchaus glaubwürdiges Datum, dass jeder in jedem Alter auf einem Gebiet Überdurchschnittliches leisten wird, wenn er sechs bis acht Stunden täglich darauf verwendet, bis etwa 10.000 Stunden voll sind. Tiger Woods war deshalb schon in jungen Jahren ein Golf-Genie. Und deshalb gehörten die Ungarinnen Zsófia und Judit Polgár bereits als Teens und Twens zu den weltbesten Schachspielerinnen.
Nun liest statistisch gesehen jeder US-Amerikaner bis zu seinem 21. Lebensjahr etwa 3.000 Stunden in Büchern. Er hat bis dahin jedoch auch bereits 10.000 Stunden Video- und Onlinespiele hinter sich, soviel Stunden also, wie er vom fünften bis zum 21. Lebensjahr zur Schule geht, sollte er weder krank werden noch schwänzen. Zum Beispiel um daheim das nächste Level zu spielen. Dieses Spieleverhalten setzt er nach der Schulausbildung fort, denn gelernt ist nun einmal gelernt.
Von 2004 bis 2012 verbrachten allein die weltweit 11,5 Millionen WoW-Abonnenten 50 Milliarden Stunden mit ihrem Spiel. Das sind 5,93 Millionen Jahre und pro Person im Schnitt 16 bis 22 Stunden pro Woche in einer virtuellen Welt mit virtuellen Identitäten. Jane McGonigal geht davon aus, dass die meisten Gamer dabei nützliche Begabungen für wirtschaftliche, soziale und sonstige Projekte entwickelt haben.
Allerdings kann auch sie nicht behaupten, dass die Gamer außer zugunsten der Spieleindustrie großartige Spuren hinterlassen hätten, denn gibt man Golf oder Schach in ein System hinein, kommt vor allem Golf und Schach wieder heraus. Und das wird bei Gamern genau so sein, selbst wenn Jane McGonigal sich in ihrer Argumentation für das Gegenteil auf die klassischen Griechen und die Lydier mit ihren Würfelspielen beruft.
Es stimmt dagegen, dass unserem Gehirn ziemlich egal ist, mit welchen äußeren Kriterien wir unsere inneren Bedürfnisse befriedigen. Die Anerkennung in einem virtuellen System aktiviert die gleichen biochemischen Prozesse wie das Lob vom Chef, der Applaus nach einer guten Rede oder das erfolgreiche Fußballturnier. Selbstverständlich wollen unser Gehirn und wir mehr davon. Möglicherweise entsteht auch beim Spielen tatsächlich so etwas wie eine Gewohnheit und ein Charakter, der dann im Hörsaal, im Forschungslabor, am Fließband, auf der Baustelle oder in der Backstube Nutzen schafft. Aber das ist nur vielleicht so, denn Jane McGonigal kennt ihre Gamer gut und sagt: »Gamer haben genug von der Wirklichkeit.«
Genau da beginnt das Problem, das auch die großartige Spieledesignerin nicht glaubhaft lösen kann. Die Begabung im Spielen nutzt insgesamt gesehen vor allem den Spielen selbst. Video- und Onlinespiele sind ein Milliardengeschäft. Für Jane McGonigal sind Gamer hochkompetente Problemlöser und passionierte Teamplayer. Das mag sein, ob aber die Welt friedlicher wird, wenn mit ihr unzufriedene Gamer sich millionenfach zusammenschließen, um auf den Datenautobahnen virtuelle Feinde niederzumachen?