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Erwin Wagenhofer u.a. – alphabet: Angst oder LiebeErwin Wagenhofer, Sabine Kriechbaum und André Stern
alphabet: Angst oder Liebe

KEN. »98 Prozent aller Kinder kommen hochbegabt auf die Welt. Nach der Schule sind es nur noch 2 Prozent.« – Diese Aussage ist für den österreichischen Dokumentarfilmer Erwin Wagenhofer der Anlass, sich in »alphabet« zwei Jahre lang dem Thema Bildung zu widmen. Auch im Buch zum Film.

 
 

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Wie in »We Feed the World« und »Let's Make Money« ist auch das Ergebnis von »alphabet« erschütternd. Nein, in der Schule entdeckt niemand die Welt. Sie besteht im Wesentlichen aus dem Drill, damit der Bildungsbedarf den Bedürfnissen der Erwachsenenwelt entspricht: hauptsächlich wirtschaftlichen Kriterien, ohne dass die Wirtschaft die Verantwortung für die Jugendlichen wirklich übernimmt.

Kann Beziehung Erziehung ersetzen?

So ist mit dem Abitur die Schule vorbei, aber selbst erstklassige Noten sind noch lange keine Garantie für die Fortsetzung des Erfolgs in der Berufsausbildung, beim Studium und im Erwerbsleben danach. Die Kindheit ist dann allerdings bereits vorbei, wie eine Schülerin sagt. Gerne würde sie die Nachmittage frei haben, und es graust ihr bei dem Gedanken, ihren eigenen Kindern irgendwann sagen zu müssen, ihre eigentliche Kindheit hätte vor allem aus Computerspielen und Chatten bestanden. Für mehr hätte es bei dem engen Lehrplan nicht gereicht.

»alphabet« von Erwin Wagenhofer, Sabine Kriechbaum und André Stern führt ihre Leser zu den Stationen des Films, schildert die Begegnung mit Deutschlands am längsten dienenden Personalchef Thomas Sattelmann, fügt Sequenzen aus Gesprächen mit dem Hirnforscher Gerald Hüther ein. Es zitiert Begegnungen mit Schülern in China ebenso wie die Selbsteinschätzung von zukünftigen Führungskräften aus der Managerschmiede von McKinsey.

Auch Pablo Pineda kommt vor, der in dem Film »Yo, también« sich selbst spielte – einen völlig unterschätzten jungen Mann mit Trisomie 21. Diese Genvariante führt zum »Downsyndrom« und normalerweise zu dem aufgedrängten Schicksal, schulisch nicht belehrbar, im Extremfall behindert zu sein. Pablo Pinada jedoch setzt sich über alle Vorurteile hinweg und schloss trotz seiner Trisomie 21 als Erster in Europa mit einem Universitätsexamen ab.

Auch das fand ich erschütternd: Die Zahl der ADHS-Patienten steigt enorm und damit der Bedarf an Medikamenten, der die Zappelphilippe mit ihrem Aufmerksamkeitsdefizit mit und ohne Hyperaktivität ruhigstellen soll. 1993 wurden in Deutschland lediglich 34 Kilo verkauftes Ritalin registriert, 2010 waren es 1,8 Tonnen (!). Allein in Deutschland schlucken 700.000 Kinder die Zappel-Pille. Sie selbst und/oder ihre Eltern kommen mit den Ausbildungsansprüchen »der Gesellschaft« nicht mehr zurecht.

Ich fürchte nach »alphabet«, dass sich die Spirale der Bildungskatastrophen weiter drehen wird. Die PISA-Studie schürt zusätzlich einen internationalen Wettbewerb, der vor allem die Erfüllungsquoten im Sinn der Wirtschaft misst. Mit einer kreativen, mitmenschlichen Vorbereitung auf das Leben hat das wenig zu tun. Und schon gar nicht mit einer erfüllten Kindheit, in der das Lernen automatisch geschieht, denn – wie gesagt – 98 Prozent der Kinder kommen hochbegabt auf die Welt.

Nicht nur die Schulen selbst spielen eine Rolle, wenn hinterher nur noch 2 Prozent Hochbegabte übrig bleiben. Auch Eltern sind mitverantwortlich, wenn sie für ihre Kinder statt nur das Beste zu wollen auch wollen, dass sie die Besten sind. Ab einem bestimmten Alter entscheiden dann auch die Kinder selbst mit, ob sie sich auf die Modelle von Eltern einlassen, die sich für Alternativen einsetzen. Vielleicht wollen sie sich jedoch bereits dem aufdringlichen Werben des modernen Konsums und der Medien unterordnen ...

Parallel zu den direkten Filmbezügen berichten die Autoren, wie es anders gehen könnte und wie natürliches Lernen funktioniert. Antonin kommt auf die Welt und darf die Welt auf seine Weise entdecken. Auch wenn er irgendwann doch mit den Sicherheitsbestimmungen des Flugpersonals konfrontiert werden wird und jeder veröffentlichte »Elternbericht« sich der Legende nähert, beobachten seine Biographen genau, wie Antonin sich ohne äußere Zwänge seine Welt erobert. Noch weiß er nichts davon, was diese Welt von ihm erwarten könnte. Noch ist er auch geschützt von allem, was für ausschließlichem Leistungsdruck steht.

»alphabet« ist ein großartiges Projekt, technisch, vielseitig, einfühlsam und wie auch immer. Schade, dass es sein musste, um uns wachzurütteln.



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