John Grisham
Der Polizist
KEN. John Grisham berichtet in »Der Polizist« über den 16 Jahre alten Drew Gamble, der in einer traumatisierenden Situation den Partner seiner Mutter erschießt. Einen Polizisten, den in der Gemeinde ansonsten alle schätzen und dem jeder nur Gutes zutraut. Aber »alle« können sich auch irren.
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Jake Brigance, wie wir ihn aus »Die Jury« (1989) und »Die Erbin« (2013) kennen, wird dazu verdonnert, den Verteidigung des Jugendlichen für die erste Stufe eines Strafprozesses vorzubereiten. Die Familie Stu Kofers fordert die Todesstrafe und wird dabei von den Medien und der aufgewühlten Öffentlichkeit Ford Countys unterstützt. Drew kommt schließlich von ganz unten. Seine Mutter Josie wohnte mit ihm und seiner zwei Jahre jüngeren Schwester Kiera bereits in Autos, gemeinsam flüchteten sie vor Gerichtsvollziehern und hätten froh sein müssen, bei Stu Kofer endlich in einem richtigen Haus zu wohnen.
Polizeigewalt, Todesstrafe, Rassismus
Tatsächlich kann sich niemand den Deputy von Clanton, Mississippi, als brutalen Schläger und Vergewaltiger vorstellen. Nach einer Kneipentour verprügelt er Josie in der Küche und verletzt sie schwer. Ihre Kinder spüren bei ihr keinen Puls mehr und haben unsägliche Angst, dass Stu ein Zimmer weiter aus seinem Alkoholrausch erwachen könnte. Drew erschießt den Polizisten aus nächster Nähe mit dessen Dienstwaffe.
Pflichtverteidiger Jake Brigance sitzt ab sofort zwischen allen Stühlen. Dass er einen Jugendlichen betreut, dem die Todesstrafe droht, bietet seinen Gegnern in einem zeitgleichen Fall Munition und könnte den wirtschaftlichen Ruin seiner Kanzlei bedeuten. Dabei hat Jake Brigance sich gerade mit seiner jungen Familie in Clanton eingerichtet.
Jake Brigance erinnert sich rechtzeitig daran, warum er überhaupt Jurist werden wollte und findet in seiner farbigen Assistentin eine gleichgesinnte Hilfe. Gemeinsam werden sie dem Recht zum Recht verhelfen. Vielleicht ist Portia John Grishams Gruß an Kamala Harris, die aktuelle Vizepräsidentin der USA.
John Grisham sagt, er habe schriftstellerische Anpassungen genutzt, um »Der Polizist« zu erzählen. Trotzdem bekommen seine Leser einen Einblick in die Arbeit von Anwälten und Richtern in den USA. Die Gerechtigkeit ist gefährdet, wenn Staatsanwälte um ihre Wiederwahl kämpfen, Richter sich auf den Ruhestand vorbereiten und Kanzleien vor allem auf lukrative Fälle zielen. Eine alleinerziehende Mutter mit mehreren Jobs, die kaum die eigene Lebenshaltung und die ihrer beiden Kinder decken, gehört ganz sicher nicht dazu.
John Grisham hält uns mit seinem Justiz-Roman auf über 600 Seiten in Atem – selbst wenn wir nicht vom Fach sind und spätestens nach »Black Lives Matter«, »I can’t breathe« und dem tödlichen Polizeieinsatz gegen George Floyd am US-amerikanischen Rechtssystem zweifeln.
Solche Bedenken sind jedoch auch bei uns angemessen, wenn Milliarden schwere kriminelle Geschäfte von Rechtsanwälten gegen horrende Honorare verteidigt werden: manipulierte Abgaswerte, Wirecard, Aktienhandel und Missbrauch von Steuergeldern ... Wie in »Der Polizist« gibt es tapfere Staatsanwälte, die sich Großkanzleien und ihren Versuchen entgegenstellen, sie einzuschüchtern. Die deutsche Staatsanwältin Anne Brorhilker spricht im Cum-Ex-Skandal von »Merkmalen der organisierten Kriminalität«. Und Rechtsanwälte spielen darin eine beschämende Hauptrolle.