Barry Lancet
Japan Town
KEN. So ziemlich am Anfang gibt es einen Messerkampf zwischen Jim Brodie und einem geheimnisvollen Mann, der im Hausflur seine junge Tochter Jenny angesprochen hatte. Jim Brodie führt sich mit ordentlichen Abwehrtechniken als Japanexperte ein. Doch die meisten Leser von »Japan Town« würden mehr wollen.
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Barry Lancet kennt Japan nach 20 Jahren in Tokio ziemlich gut. Als Mitarbeiter eines Verlags wurde sicher auch mehr von ihm erwartet als Grundkenntnisse im Schreiben und Lesen des Japanischen. Tatsächlich lernen wir von Jim Brodie einiges über die Kanjis, eine Kategorie japanischer Schriftzeichen, die von Experten nahezu graphologisch gelesen werden können: Wie alt, gebildet und in welcher psychischen und körperlichen Verfassung ist der Schreiber eines seltenen Exemplars, das nun mindestens zum zweiten Mal in einem Mordfall auftauchte?
Fünf Leichen. Ein Rätsel. Keine Spur.
Jim Brodie restauriert japanische Vasen und wird als Kunstexperte immer wieder in Versicherungsfälle eingeschaltet oder jetzt eben in einen Mordfall, den die Polizei von San Francisco aufklären soll. Die Familie eines japanischen Geschäftsmannes wurde mit äußerster Kaltblütigkeit umgebracht. Brodies Kontaktmann bei der Polizei weist ihn auf ein hinterlassenes Kanji hin, das die Tat für den Experten zu einer persönlichen Sache macht: Dieses Zeichen hatte Jahre zuvor auch der Mörder seiner Frau am Tatort hinterlassen!
Die Parallele macht Jim Brodie auch für das Familienoberhaupt im aktuellen Mordfall interessant. Er heuert Brodie an, das Massaker an seiner Familie abseits der polizeilichen Ermittlungen zu untersuchen. Der Preis spielt keine Rolle, aber längst ist auch das Leben von Brodies Tochter Jenny bedroht.
»Japan Town« beginnt mit einigen Klischees, wie allein erziehender Vater eines Engels von Tochter, eher unbedarften Polizisten ohne Aussicht auf einen Zugang zur traditionellen japanischen Kultur, viel Mafia-Kram und Prügeleien zwischen Vertretern von Systemen, die sich als unbesiegbar zeigen, dann aber gute Aussichten haben, als Goliath zu enden.
Ich mag, dass Barry Lancet Japan seine Zeit in Japan nicht nur als beiläufiger Tourist erlebte. Auch das wäre möglich gewesen. Stattdessen hat er sich der Sprache, Schrift und damit auch der Kultur von innen genähert. Zumindest wirkt »Japan Town« so auf mich.
Diese Annäherung erfordert Ausdauer, Mut und die Bereitschaft zu akzeptieren, dass selbst das moderne Japan tiefverwurzelten traditionellen Mustern folgt. In der Regel erlaubt es Ausländern nur einen oberflächlichen Zugang zur Kultur. Selbst Japaner, die ins Ausland geschickt wurden, um das Unternehmen zu vertreten, müssen damit rechnen, nach ihrer Rückkehr von den Kollegen geschnitten zu werden. Wer einmal raus ist, kommt nicht wieder rein, selbst wenn seine Familie ihm dann eine Frau schickt, die er nach traditionellem Brauch und auf Wunsch der Eltern auch heiraten wird.
Barry Lancet hat sein Buch zwischen japanischer Tradition und amerikanischer Moderne angelegt. Das ist ihm trotz der Längen und Klischees gut gelungen. Am Ende ist auch »Japan Town« nur der Thriller eines Amerikaners, der über Japan schreibt. Wie schwer das ist, zeigten bereits die Reaktionen auf Michael Crichtons Roman »Rising Sun«, der 1993 mit Sean Connery verfilmt wurde (Deutsch: »Die Wiege der Sonne«). Die Kritiker nannten »Rising Sun« gleichermaßen »politisch korrekt« und »rassistisch«.