Marc Buhl
Die Auslöschung der Mary Shelley
KEN. Zu künstlicher Intelligenz gibt es eine Menge Fantasien. Lediglich per Chip gesteuert zu werden, ist im Reich der Vorstellung ein alter Hut, der »Terminator« sowieso. Bei der »Auslöschung der Mary Shelley« schlägt das Compuniversum besonders raffiniert zurück. Marc Buhl hat mich angenehm überrascht.
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Mary Shelley hat als Biologin die Schwarmintelligenz von Ameisen untersucht. Für sie sind deren Staaten das Modell unzähliger Minicomputer, die gemeinsam einen flexiblen Supercomputer bilden. Als Ökoaktivistin ist sie den Sicherheitsdiensten schon mal aufgefallen. Dass sie und ihr Zwillingsbruder Frank als Kind die Ermordung ihrer Eltern miterleben mussten, macht Mary heute empfänglich für die Idee, etwas gegen das Morden in der Welt zu tun.
In den Tiefen der künstlichen Intelligenz
Gemeinsam mit Spitzenprogrammierern arbeitet sie an einem Quantencomputer mit schier unbegrenzten Rechenkapazitäten, zumal dieser Computer mit allen vernetzten anderen Computern auf dieser Welt kommuniziert und deren Möglichkeiten zuschalten kann.
Mary Shelley unterschätzt, dass der Quantencomputer, den sie für ihre eigenen Zwecke heimlich nutzt, wie Frankensteins Monster ein Eigenleben entwickeln könnte. Er lernt! Er liest sich durch die Bibliotheken dieser Welt und verteidigt sich mit tödlicher Gewalt gegen seine Schöpfer bei Powell Ltd. Das Unternehmen entwickelt für die National Security Agency (NSA) den mächtigsten Rechner der Welt.
Jemanden umzubringen, ist für einen Computer leicht, der über das Internet einen der über sechzig Minicomputer eines Autos ansprechen und bei voller Fahrt den Airbag auslösen kann. Das Silicon Valley im südlichen Teil der San Francisco Bay wird in Marc Buhls Thriller wieder einmal der Ausgangspunkt einer guten Absicht. Statt ausschließlich Kriminelle zu jagen, lernt der Quantencomputer deren Überlebensstrategien und entwickelt seinerseits einen Plan, aus dem unvollkommenen Menschen ein perfektes Wesen zu machen. Mary Shelley muss schon bald befürchten, der Prototyp für diesen neuen Menschen zu werden.
Marc Buhl legt den Finger in eine Wunde, die schon lange blutet, was uns aber als ach so erstrebenswerte Zukunft untergejubelt wird. Wenn die ganze Welt vernetzt ist und jeder jederzeit mit den Möglichkeiten der Informationstechnologie kontrolliert werden kann, verschwindet nicht nur unser Privatleben. Wir müssen dann auch hinnehmen, dass weltweit aktive Firmen, Regierungen oder Geheimdienste die Kontrolle übernehmen.
Schon heute bekommen wir nur die Informationen, die Google & Co uns aufgrund unserer Internetaktivitäten einblenden. Sobald wir unsere Kundenkarte nutzen, verschärfen wir unser Profil. Und da Daten nur solange geschützt sind, bis der nächste Hacker ein System knackt, ist jede Information jederzeit nutzbar. Es kommt dabei nur noch auf die Programmier- und Rechenkapazitäten und den richtigen Moment an.
Es gibt also guten Grund, sich vor der Vernetzung zu fürchten. Längst kapern sogenannte BOT-Programme private Rechner für kriminelle Zwecke. Wobei die meisten Nutzer vergessen, dass ihr Mobiltelefon ebenfalls ein Computer ist und allein schon Möglichkeiten hat, für die Forscher vor wenigen Jahren noch ganze Rechenzentren ausstatten mussten.
Die »Auslöschung der Mary Shelley« endet offen, und das Nachwort provoziert die Vorstellung eines Übergangs in unsere scheinbar so sichere Welt. Vielleicht gibt es den Quantencomputer bereits, der mit allen Computern dieser Welt, selbst mit unserer Waschmaschine, mit unserem GPS-System und der Alarmanlage unseres Hauses vernetzt ist. Vielleicht hat er sogar veranlasst, dass die »Auslöschung der Mary Shelley« von Computern geschrieben wurde.
»Die Fiktion ist viel wahrscheinlicher als die Realität.« Victor, einer der Protagonisten aus dem Thriller, stellt sich mit diesem Schlusssatz als »Ghostwriter« von Marc Buhl vor. Das muss ich nicht mögen, denn Paranoia gibt es da draußen schon genug. Aber was wäre, wenn …?