Sabri Louatah
Die Wilden - Eine französische Hochzeit
KEN. Die Familie Nerrouche möchte in Paris eine grandiose Hochzeit feiern, ganz so wie es ihre algerischen Wurzeln nahelegen. Zeitgleich ist Präsidentschaftswahlkampf. Bald nachdem es auf der »Französischen Hochzeit« zu brutalen Schlägereien kommt, wird der minderjährige Abdelkrim (Krim) zum Attentäter auf den ersten algerischen Präsidenten der Großen Nation.
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Sabri Louatah lässt in »Die Wilden – Eine französische Hochzeit« viele kulturelle Nuancen für sich sprechen. Es macht Spaß, in die Kultur der algerischen Einwanderer einzutauchen, die Details und Empfindlichkeiten wahrzunehmen, die bei der Hochzeit des eigentlich schwulen Slim und seiner jungen Braut Kenza deutlich werden. Dabei ist die Familie Nerrouche nach drei Generationen wesentlich mehr in Frankreich eingebunden, als sie vermutlich noch wahrnehmen kann.
Teil 1 der großen französischen Familiensaga
Die französische Hochzeit endet nicht »happy«. Sonst wäre der Dreiteiler schon nach der Hälfte des ersten Bands abgeschlossen. Krim ist mitten in der Pubertät, ausbildungsfeindlich und irgendwo zwischen den Generationen und Kulturen hin- und hergeworfen. Durch ein raffiniertes Katz-und-Maus-Spiel zwischen mafiösen Strukturen, korrupten Beamten und machtgeilen Politikern wird er den Präsidentschaftskandidaten Idder Chaouch ins künstliche Koma schließen und damit Staatsfeind Nummer 1.
Die Geschichte ist um das Jahr 2012 herum angesiedelt und der amtierende Präsident im Wahlkampf voraussichtlich unterlegen. Kaum auszudenken, was die Bewohner der Banlieue tun werden, die schon 2005 zum Entsetzen aller Polizisten randalierend durch die Straßen zogen, Geschäfte zerstörten und Autos in Flammen setzten. Würde sich diese Spektakel auf einem weit höheren Niveau wiederholen?
Frankreich ist in Aufruhr. Der neu gewählte Präsident liegt im Koma. Ob er nach dem Erwachen sein Amt überhaupt antreten kann, ist ungewiss. Immerhin behaupten die Ärzte, dass die Kugel nur seine Kieferpartie durchschlagen hat und das Gehirn bis auf ein Gerinnsel unverletzt geblieben ist.
Sabri Louatah wurde 1983 in Saint-Étienne geboren und kennt damit die Spannungen in einem kulturell gemischten Milieu nicht weit von Paris. Seine Protagonisten siedelt er vor allem in seiner Geburtsstadt an, die er längst verließ, um sich von den USA aus seiner schriftstellerischen Tätigkeit zu widmen. »Die Wilden. Eine französische Hochzeit« ist ein vielversprechender Auftakt zu der Trilogie, die 2018 und 2019 fortgesetzt werden soll. Sabri Louatah schreibt schon jetzt an der Umsetzung seines Werkes für das Fernsehen.
Ich habe die »Französische Hochzeit« auch wegen der Unruhen und Attentate in Paris gelesen. Sabri Louatah beschreibt kritische bis ablehnende Haltungen gegenüber den maghrebinischen Einwanderern. Der Widerspruch in sozialen und Fragen des kulturellen Miteinanders wirkt zumindest in diesem ersten Band unauflösbar.
Manche der Einwanderer leben schon seit Jahrzehnten in Frankreich. Ihre Kinder und Enkel wollen endlich als Teil Frankreichs anerkannt werden, statt weiter Prügelknabe der Nation zu sein. Aber weit vor der Gleichberechtigung steht, dass sie überhaupt wahrgenommen werden. Und wenn der gewaltfreie Weg dazu nicht möglich ist, dann haben diejenigen, die nichts mehr verlieren zu können glauben, mit Molotow-Cocktails und Steinen gegen die Obrigkeit einen erschreckenden B-Plan.
Das können weder die Einwanderer noch ihre Gastkultur wirklich wollen. Beide mögen sogar den Filmstar Fouad Nerrouche aus der Serie »L’Homme du Match«, bis seine Verwandtschaft mit dem Attentäter veröffentlicht wird. Den »Wilden« steht eine irritierte Grundkultur gegenüber, die sich von den Einwanderern inspirieren lässt, aber sie gnadenlos ablehnt, wenn sie ganz einfach dazugehören wollen.
Krim, der minderjährige Attentäter, lenkt den Hass der Franzosen auf seine gesamte Familie. Da hilft es auch nicht, dass er eine persönliche Beziehung zur Tochter eines hochstehenden Ermittlers hat, so wie der Filmstar Fouad Nerrouche mit der Tochter des Präsidentschaftskandidaten verbandelt ist.
Wer genau die Drahtzieher hinter dem Attentat auf Idder Chaouch sind und welche Beziehung zwischen Krim und seinem Cousin Nazir bestehen, der wenig später durch ganz Europa gejagt wird, das wird nicht nur die französischen Ermittler, sondern auch die Leser interessieren. Sabri Louatah verrät im ersten Band gerade so viel, dass wir auf den nächsten neugierig sein dürfen. Das ist handwerklich einwandfrei.
Da er bereits mit Philip Roth und Dostojewski verglichen wird, ist der Anspruch an die nächsten beiden Bände ziemlich hoch. »Die Wilden. Eine französische Hochzeit« spricht dafür, dass auch der zweite Band »Brüder und Feinde« im Jahr 2018 uns die Kultur der maghrebinischen Einwanderer näherbringen wird.
Das wiederum betrifft nicht nur Frankreich, sondern auch das Zusammenleben mit Nordafrikanern und Arabern in Deutschland. Der Roman stellt uns eine Kultur vor, über die wir sonst nur zwischen den Zeilen aus den Zeitungen erfahren und die mit den Straßenschlachten in Frankreich im Fernsehen nur zu einem Bruchteil abgebildet wird.
Ich hoffe sehr, dass Sabri Louatah die Vorschusslorbeeren nicht zu sehr belasten, denn die große französische Familiensaga sollte sich frei von Vergleichen entfalten können. Ich mag die Sprache und die Portraits der Protagonisten als unabhängiges Versprechen an eine kulturelle Note, die möglicherweise mehrere Generationen braucht, um wirklich mit der französischen Kultur verschmolzen zu sein.
700 Seiten sind ein ordentlicher Ziegelstein, der uns diese Option vertraut macht. Zwei weitere seiner Art sollen folgen. Ich bin neugierig, wie die große französische Familiensaga rund um die algerische Einwandererfamilie Nerrouche weitergeht.