Pia-Maria Wippert
Kritische Lebensereignisse in Hochleistungsbiographien
KEN. Olympia 2012 in London. Etwa 10.000 Sportler aus der ganzen Welt kämpften um Medaillen. Die Welt hat mit ihnen gebangt, dafür viele Stunden vor dem Fernseher verbracht und mitgejubelt. Jetzt kommt Pia-Maria Wippert mit dieser Nachricht: 50.000 ehemalige Olympioniken weltweit leben unter der Armutsgrenze!
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Rein rechnerisch wird von fünf Olympiaden kein einziger unserer Helden nach dem Ende der Karriere über 2000 Euro pro Monat zur Verfügung haben. Und rein rechnerisch werden voraussichtlich alle ihr Lebtag in spartanischen ökonomischen Verhältnissen bleiben.
Erfolgreiche Spitzensportler versagen später im Beruf!
Ich weiß nicht, was für einen Gewichtheber wie Matthias Steiner schwerer wiegt: solch eine Perspektive oder eine 196-Kilo-Hantel, die ihm auf den Nacken kracht ...
Warum so viele Leistungssportler sich nach dem Ende ihrer Karriere am Rande des Existenzminimums bewegen, hat die ehemalige alpine Leistungssportlerin Professor Dr. Pia-Maria Wippert in ihrer Studie »Kritische Lebensereignisse in Hochleistungsbiographien« untersucht. Nicht nur um Sportler geht es dabei, sondern auch um Tänzer und Musiker. Aber die Sportler sind dabei zumindest alle vier Jahre sichtbarer als möglicherweise der Schlagzeuger mit der Triangel in der letzten Reihe eines A-Orchesters.
Wer es im Sport bis in die Wettbewerbe um das Edelmetall schaffen will, muss sich früh in ein System einfügen, bei dem es jahrzehntelang um Leistung geht. Der Preis für die extrem gute Versorgung in dieser Zeit sind tägliche Trainings-, Ernährungs-, Wettkampf- oder Abmeldepläne; selbst die Kleidung ist vorgegeben. Die Athleten sind in ihrer aktiven Zeit auch außerhalb der Trainings medizinisch überdurchschnittlich gut betreut. Dafür leben sie stets unter irgendeiner Form der Überwachung, die optimale Leistungen fördern soll.
Dabei redet Pia-Maria Wippert nicht etwa von irgendwelchen exotischen Kaderschmieden, sondern durchaus auch von Trainingsbedingungen in Deutschland.
Frei nach Schillers Wallenstein sehen wir, während die deutsche Nationalflagge hochgezogen wird, nicht die Wunden, mit denen die Perlen, also Medaillen, errungen wurden. Schon gar nicht sehen wir die Wunden, die bleiben, wenn die Flaggen wieder eingerollt und die Hymnen verklungen sind:
Johnny Weissmüller starb 1984 altersbedingt, war aber nach fünf Goldmedaillen 1924 und einer Karriere als Tarzandarsteller in seinen letzten Lebensjahren Türsteher in Las Vegas. John Akii-Bua gewann 1972 Gold über 400 Meter Hürden. Als er 1999 an AIDS starb, verdiente er sechs Dollar pro Monat. 1972 gewann Rod Milburn Gold über 110 Meter Hürden. Er starb 1997 nach dem Sturz in einen Reinigungsmittelbehälter - als Mitarbeiter eines Putztrupps für Lokomotiven. Deutschlands Nationaltorwart Robert Enke warf sich 2009 vor den Zug. Mountainbike-Weltmeister Christophe Dupouey nahm sich im gleichen Jahr das Leben.
Das Problem für die meisten Hochleister ist, dass nach dem Ende der Karriere das System nicht mehr für sie zuständig ist. Sie haben nicht einmal gelernt, ihre Freizeit zu organisieren. Auch Beziehungen sind nach 20 Jahren im Kader ein weiteres Problem. »Familie« waren bis dahin die Mitstreiter in den Gemeinschaftsräumen, die Trainer und die medizinischen Abteilungen und der Trikotwart. Außer bei weniger werbeträchtigen Sportarten wie Synchronschwimmen vielleicht noch der Agent, der die Verträge mit dem nächsten Club aushandelt. Pia-Maria Lippert: »Viele Athleten sind nicht in der Lage, sich selbst und den eigenen Tagesablauf zu organisieren.«
Zwar glänzt das Gold, vielleicht noch die persönliche Bestleistung auf Platz 7, aber auch das bietet keine dauerhafte Identität für die Zeit nach der Hochleistung. Dort sind andere Qualifikationen gefragt. Die Potsdamer Professorin sieht einen dringenden psychosozialen Trainingsbedarf für die Betroffenen Sportler, Tänzer und Musiker. In Österreich und in der Schweiz wird Pia-Maria wippert inzwischen erhört. Im eigenen Land, also in Deutschland, wird die Prophetin von den Funktionären noch ausgeblendet.