Holger Feindel
Onlinesüchtig?
KEN. Wieviel Onlinespielen ist erlaubt, ohne bereits Sucht zu sein? In seinem Ratgeber zitiert Holger Feindel zahlreiche Patienten, denen er in der Fachklinik Münchwies zu helfen versucht. Wir können danach selbst überprüfen, ob wir ebenfalls bereits onlinesüchtig sind.
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Onlinespiele machen es vielen Jugendlichen und Erwachsenen leicht, der Wirklichkeit zu entfliehen. Ihr Suchtmittel steht ihnen 24 Stunden am Tag zur Verfügung. Manche Süchtige verbringen über 20 Stunden pro Tag im Internet, verlieren den Kontakt zu ihrer sozialen Umgebung, den Ausbildungs- und Arbeitsplatz eingeschlossen. Über virtuelle Identitäten versuchen sie zu sein, was sie im Leben offline schon lange nicht mehr sind oder niemals waren, mit allen Konsequenzen für die psychische und körperliche Gesundheit.
Ein Ratgeber für Betroffene und Angehörige
Viele vergessen zu schlafen, zu essen oder sich um ihre Körperhygiene zu kümmern. Ein 24 Jahre alter Onlinesüchtiger putzte sich zwei Jahre lang die Zähne nicht: »Die Zeit war mir zu schade dafür. Ich bin ja eh nicht mehr rausgegangen.« Erst nach seiner Entlassung aus der Klinik war er es sich wieder wert, seine Zähne zu putzen – und musste sein Gebiss komplett sanieren lassen.
Holger Feindels Patienten begründen ihre Sucht damit, dass sie im Netz anerkannt sind – anders als in der Schule, im Beruf oder in der Freizeit. Hinter dem Bildschirm meinen sie, Kontrolle über das Geschehen zu haben, werden gelobt, belohnt, und selbst das Scheitern hat keinen wirklichen Nachteil. Die Runde wird eben noch einmal gespielt.
»Im Internet kann ich der sein, der ich gerne sein will«, sagt ein Patient Feindels. Online spielt es keine Rolle, ob jemand zu groß, zu klein, zu dick, zu dünn oder pickelig ist – und am Ende kaputte Zähne hat und schlecht riecht.
In der Klinik versucht Holger Feindel, seine Patienten wieder auf das Leben vorzubereiten. Er empfiehlt zunächst eine ehrliche Bestandsaufnahme für die Zeit, die jemand spielend und surfend mit dem Handy, seinem Computer oder der Spielekonsole verbringt. Feindel unterscheidet dabei sehr wohl zwischen dem Internetgebrauch im Rahmen schulischer oder beruflicher Tätigkeiten und dem krankhaften Aufenthalt im Netz.
Wer tagsüber beruflich einen Computer nutzt und abends zur Entspannung zwei Stunden online spielt, muss also nicht gleich süchtig sein. Aber Angehörige sollten aufmerken, wenn dieses Spielen überhandnimmt und den Umgang miteinander belastet.
Zur Bestandsaufnahme gehört die Auseinandersetzung damit, wer jemand in der virtuellen im Vergleich zur realen Welt überhaupt ist. Was macht seinen Avatar aus? Könnten dessen Eigenschaften im wirklichen Leben ebenfalls nützlich sein? Welche Vorzüge des Onlinelebens lassen sich auch durch andere Beschäftigungen erreichen?
Häufig genug wird die Sucht mit schwierigen sozialen Bedingungen, die Überforderung in der Ausbildung oder im Beruf begründet. Onlinesüchtige berichten enttäuscht, Familienmitglieder hätten sich nie für ihre Interessen im Netz interessiert. Dass Holger Feindel als Therapeut für pathologischen PC- und Internetgebrauch überhaupt einen Zugang zu seinen Patienten hat, begründet er damit, auch selbst zu spielen. So könne er sich mit ihnen auf Augenhöhe unterhalten. Er verstehe sogar, dass jemand trauert, der im Rahmen einer Therapie eine erfolgreich aufgebaute Figur »verkauft«.
Am Ende der Therapie sollen die Patienten ihre Zeit beim Spielen ohne die Angst begrenzen können, etwas zu verpassen. Ehemals Onlinesüchtige nehmen dann wieder aktiv am Leben außerhalb des Netzes teil.
»Onlinesüchtig?« ist ein Erste-Hilfe-Buch für Betroffene und ihre Angehörigen. Der Ratgeber setzt voraus, die übertriebene Zeit im Netz als Sucht für möglich zu halten und gegebenenfalls Hilfe dagegen zu suchen.