Sophie Andresky
Lovecoach
KEN. Wie inter-nett sind Sex und Liebe rund um Tinder und Social Media? Irgendwie trommelt Sophie Andreskys mit »Lovecoach« noch lauter für das »casual dating« als die aufdringliche Werbung für fremde Betten in Stuttgart zur Hochzeit von Corona im Juni 2020. Das eigene Bett kennt die Blondine im kuscheligen Badehandtuch ja schon gut genug. Das könnten die »Dater« im Buch ebenfalls von sich sagen.
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In diesem Roman von Sophie Andresky installiert Sexpertin Karla eine hippe »Lovecoach«-App zur Eigentherapie bei Liebeskummer. Auch ihre besten Freundinnen sind informierte Nutzerinnen und gut drauf, wenn es darum geht, auf jeder und jedem möglichst schnell gut drauf, dran und drin zu sein oder zu kommen. Oder eben drunter, davor, dahinter, daneben - und das alles mit den Füßen in jede Himmelsrichtung und körpermittig am besten männlich befüllt.
Sex und Liebe mit Tinder und Social Media
Tilda zum Beispiel lebt gerade auf einem Gut mit Enthaltsamkeit und »Handys aus!« in der Hausordnung. Heimlich bricht sie mit beidem und appt fleißig Sex. Von Nichts gibt es auch in Tugendland niemanden, der für die nächste Generation das Feld bestellt. Aktuell freut sich die Kommune auf die Sommerfeuer, wenn jede und jeder es auch offiziell mit jeder und jedem treiben darf, was immer gehen mag, steht oder liegt.
Das Vokabular ist in Sophie Andreskys Roman ziemlich schnell erschöpft, weil zu offensichtlich. Statt Geheimnisvollem, das es noch fein zu entdecken gilt, bietet »Lovecoach« Varianten von Vorhersehbarem und Endlosschleifen von feuchten Träumen mit der Grundausstattung aus dem Sexshop. Schließlich gibt es nur eine begrenzte Zahl von Geschlechtsorganen, Körperöffnungen, Ergüssen und Sekreten, ab und zu ein Kondom, dafür nie die Tage, Hygieneartikel und schon gar keine Schwangerschaft. Freie Liebe ist eine blutlose Kunst.
Sophie Andresky übernimmt unverschämt, also ohne Scham, das »Erotik«-Vokabular aus der Sexualkunde von ewig Frühreifen mit den entsprechenden Spätfolgen für die niemals Reifen. Für die war »casual« wohl kaum jemals eine Freizeitklamotte, sondern stets alles ohne Klamotten.
Dass Karla sich in ihrer überdrehten Unterkörperwelt Gedanken um ihren Exfreund Matthis macht, grenzt da schon an spießig. Denn Matthis‘ Gemächt wurde bei den Proben für eine Sex-TV-Show gesichtet, gemundet und geschmeckt. Außerdem wird der komplette Ex als winselnder S/M-Sklave in Latex mit Klappen für die Peitsche von einer einflussreichen Mäzenin an der Hundeleine geführt.
Karla vernascht zur Entspannung gemütliche Nerds mit bärigen Bäuchen von der »Lovecoach«-Hotline. Aber es trifft sie persönlich und in ihrer Therapeutinnen-Ehre, dass sie etwas von den speziellen Bedürfnissen ihres letzten festen Partners übersehen hat. Sie macht sich auf die Suche nach Matthis.
Vielleicht lag es an den Sommerfeuern auf dem Gutshof, dass ich bei all dem Drüber und Drunter irgendwann an ein Nest bleicher Fliegenmaden denken musste. In »Lovecoach« schleimt und glitscht es immer wieder ähnlich durcheinander, wobei Sophie Andresky die miteinander verknoteten Körper noch auseinanderhalten kann.
Die Erotik, die der Roman verspricht, findet offenbar auf einem anderen Planeten statt. Neues Leben wird dort nicht entstehen. Andererseits würde das Orgiastische im richtigen Leben die eine oder andere alleinerziehende Mutter erklären. Und die vielen unbekannten Väter von dem einen Kind, die ihren Samen längst in anderen Galaxien versenken.
Sophie Andresky hat ihrer Sexual- und Paarungstherapeutin Karla einen Club von Freundinnen zugeschrieben, denn Frauenpower ist gerade »inn«. Vielleicht wirkt das ein bisschen dem Eindruck entgegen, hinter der Autorin stecke am Ende gar ein Autor oder irgendetwas zwischen Autorin und Autor.
Karla jedenfalls lässt ihre Patienten gerne einmal an sich selbst – also an Karla – üben und nennt das dann Coaching. Das wissen die Freundinnen, die gemeinsam stark und ansonsten erbärmlich beziehungsunfähig sind. Selbst miteinander. Irgendwo schwelen trotzdem Erinnerungen an Kernfamilie und wirklichen Begegnungen.
Dass es auch für Sophie Andresky so etwas gibt wie die Liebe, die durch den Magen geht, ist durchaus möglich. Die bunten Cupcakes von Karlas Freundin Mieze im Buch deuten das an. Ebenso das Gegenteil: die Abführmittel im Festessen auf dem Gutshof. Traditionsreiche Fruchtbarkeitskulte und Anbetungen mit multiplen Höhepunkten können dadurch höchst unerotisch enden. Selbst Göttinnen und Götter wie Vagina und Phallus finden bei Durchfall auf der Keramik ihre Meisterin und ihren Meister.
Sophie Andresky hat sich mit ihren Artikeln und Büchern unter anderem beim Playboy eingeschrieben. Das ist kein Garant für erotische Qualität, sondern zunächst einmal eine Zeitschrift, die drei Generationen vor Tinder auf richtigem Papier gestartet ist. Sophie Andresky traut sich darin einen Dialekt von Sex, Crime, alberner ländlicher Bums-Komödie und neuzeitlichen Videoproduktionen auf dem Niveau von Teenage-Influence. Ob das dann auch wirklich erotisch ist?
Wer casual-sex-appt, weiß vermutlich, dass es bei Tinder und Co (-itus) kaum um Erotik geht, sondern um ein Mittel gegen Langeweile und Hormonüberschuss, weil auf Netflix die Serien gerade alle sind. Es geht vor allem darum, die Pille und die Familienpackung Kondome zu nutzen, weil: die hat man eben, um möglichst oft mit möglichst vielen rumzumachen, egal ob vom Mars, von der Venus oder dem Planeten Mix.
Für wirkliche Erotik fehlt dem Fließ-Fuck-System von Sophie Andresky die Zartheit. Es gibt einen Unterschied zwischen Porno und Erotik. Letztere kommt bei »Der, die, das Nächste bitte!« ebenso wenig vor wie beim Zahnarzt. »Erotischer Roman« steht auf dem Klappendeckel. Schon beim Griff ins Bücherregal steht also etwas. Ansonsten kommen in den ersten beiden Absätzen des Romans »Lovecoach« alle Haupt-Wörter für den Rest des Buches vor. Sophie Andresky braucht sie oral, anal, genital, händisch und freihändig nur noch kräftig zu schütteln und zu rühren, je nachdem und je nachder.
Wer Erotik und möglicherweise das dadurch inspiriertes Mehr noch analog, eher tastend und vor allem offline schätzengerlernt hat, für den ist »Lovecoach« ein digital inspirierter Exzess, dem Sophie Andresky die Zügel löst. Hoffentlich erinnern sich die Dauer-Tinderer und hardcore App-Dater rechtzeitig an die Bremse für ihr aufgepeitschtes Gespann. Am besten, bevor sie gegen alle Antibiotika resistent sind.
Oder Kindergeld beantragen müssen.