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Khalil O. mit Christine Kensche - Auf der Straße gilt unser GesetzKhalil O. mit Christine Kensche
Auf der Straße gilt unser Gesetz

KEN. Khalil O. hat als Mitglied des mächtigen arabischen Clans der Mhallami mit »Geschäftszentrum« in Berlin den Sprung vom Saulus zum Paulus gewagt. Erst auf den letzten Seiten von »Auf der Straße gilt unser Gesetz« habe ich überhaupt für möglich gehalten, dass er diesen Sprung auch geschafft hat.

 

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Khalil O. wurde in Deutschland geboren, hinein in Familienverhältnisse von einst Geflüchteten, deren Angehörige schon bald alle Register ziehen, um hier besser überleben zu können, als es ihnen im Libanon unter Kriegsbedingungen möglich gewesen wäre. Der Vater, »on the Job« gelernter Bauzeichner mit Talent als Architekt, arbeitet sich in Deutschland hoch zum Polier eines Bauunternehmers. Er baut mit eigenen Händen sein eigenes Haus, das er nach der Scheidung allerdings gegen eine viel zu kleine Wohnung in Berlin tauschen muss.

Arabische Clans - ein Insider erzählt

Khalil O.s Vater glaubt trotz erheblicher Belastungen an das Gute, den Islam als Stütze und ist Deutschland sogar dankbar, dass es ihn und seine Familie aufgenommen hat. Raubüberfälle, Morddrohungen, Schießereien, Schutzgelderpressung und Drogenkriminalität, mit denen seine Angehörigen in Verbindung gebracht werden, sind ihm zuwider.

Für Khalil O. ist Deutschland viele Jahre das Gebiet, auf dem er den Krieg der Generation seiner Eltern in Arabien fortsetzt. Damit ist für ihn jede Art Kriminalität legitim und pillepalle, wenn jemand unter unterschiedlich transkribierten Namen »die Stütze« beantragt. Er vertickt als Teenager im großen Maßstab Drogen und zeigt jeder Art von Autorität des einstigen Asyllandes seiner Eltern den Mittelfinger.

Wenn es eher im Rahmen ist, dass der Vater eines Bekannten als unanfechtbarer Patriarch den eigenen Sohn an den Füßen aufhängt, um ihn – »angemessen« – zu bestrafen, sind Verwarnungen, Bewährungsstrafen und Sozialdienste von empörten deutschen Richtern auf einer Arschbacke abgewickelt.

Khalil O. wird bei seiner Geschichte von der erfahrenen Redakteurin Christine Kensche als Co-Autorin unterstützt. Vorher war es eine Lehrerin aus einem alternativen Projekt, die er als Modell an sich herangelassen hat. Dabei ist Khalil O. jemand, der zu seinen Hoch-Zeiten als unantastbarer Verbrecher für sein Image in der Szene keinen Edelpuff ausgelassen hat, wo er großzügig Kokain verschenkte und seinen Kundenstamm ausbaute.

Khalil O. genoss diese Exzesse – und wandelte sich nach der Geburt eigener Kinder trotzdem zum Sozialarbeiter. Auch wenn das Gehalt in dem neuen Job nur einen Bruchteil der einstigen Drogengewinne ausmacht, findet er sein Leben so sinnvoller und auf dem Boden der Legalität allemal entspannter. Als geläuterter Dealer, Schläger und Messerstecher spricht er die Sprache der Straße und erreicht vermutlich die Szene ebenfalls besser. Jedenfalls geht er davon aus. Khalil O. will zwischen den Menschen und Kulturen vermitteln, wobei er – inzwischen seinerseits ein Patriarch – für seine Kinder nur eine gute, moslemische Ehe akzeptieren will.

Ich hoffe, Khalil O. nutzt seine Position als Sozialarbeiter mit dem Wissen eines respektierten Insiders tatsächlich, um die Fortsetzung des Krieges in Arabien auf fremdem Gelände zu beenden. Sein Bekenntnis bestätigt auf weite Strecken vor allem, dass die undurchdringlichen Clanstrukturen bestens geeignet sind, den Sozialstaat auszuhebeln. Es ist danach kein Problem, unter unterschiedlichen Identitäten mehrfach Sozialhilfe zu beantragen, gleichzeitig mit Luxusautos zu posen und Rauschgiftsüchtige aus jeder gesellschaftlichen Schicht zu beeindrucken.

Die arabischen Clans haben laut Khalil O. zwar Mitbewerber um das Sagen auf der Straße. Aber sie sind über verwandtschaftliche Bande, die von vorn herein wirkliche Beziehungen zur umgebenden Bevölkerung überflüssig machen, besser organisiert. Rasch telefonieren sich gleichaltrige Onkel und Neffen zusammen, um rechte Glatzköpfe in den Vorstädten Berlins zu »klatschen«, wenn die ihnen zuvor strohdumm gekommen sind.

Die Lösung passiert auf den letzten 20 Prozent des Buchs – klassisches Pareto-Prinzip. Khalil O. beschreibt, was geschehen müsste, damit die Mitglieder der arabischen Clans ihre Umgebung in Deutschland überhaupt ernst nehmen. Zu seinen Empfehlungen gehört, die Sozialhilfe für Kinder an den tatsächlich erfolgten Schulbesuch zu knüpfen. Wer nicht dafür sorgt, dass seine Kinder in die Schule gehen, sollte alle seine Ansprüche verlieren.

Khalil O. hat die persönliche Wende erwogen, weil er irgendwann um Bildung bis zum Abitur und zum Studium nicht mehr herumkam. Für weniger ist er einfach zu schlau. Er bestätigt, dass sein Weg ohne die unentschuldigten Fehlzeiten und die richterlichen Weichspülungen, für die er nur Verachtung übrighatte, schon vorher anders verlaufen wäre.

»Auf der Straße gilt unser Gesetz« ist als Erzählung aus dem Auge des Tornados ein mutiger Ansatz. Vielleicht weil manche der Clanmitglieder noch immer die Kriegsstrategien vorziehen, von denen Khalil O. vor seiner Wandlung mit Schaden an Leib und Seele seiner Kunden und deren Familien in Saus und Braus lebte.

Sein Clan hat viele Hundert Mitglieder. Auch sie darf man nicht über einen Kamm scheren, denn Menschen wie Khalil-Paulus O. und seinen Vater gibt es darin auch. Aber können die sich als Vorbilder rechtzeitig gegen den überwältigenden Rest behaupten?

Khalil O. hat den Absprung gesucht und gefunden, bevor ihn das deutsche Rechtssystem für seine kriminellen Machenschaften zur Rechenschaft ziehen konnte. Verwandtschaft geht immer, Verjährung braucht Ausdauer. Ich bin froh, dass es Khalil O. gibt. Jeder »Gewendete« ist zumindest ein Funken Hoffnung für ein Gefühl des Friedens, des Respekts und des Miteinanders über die Clanstrukturen hinaus. –

Khalil O. muss noch eine Menge tun, um seine Clanmitglieder zu überzeugen. Und nicht nur die.

2020 O. Khalil mit Christine Kensche - Auf der Straße gilt unser Gesetz



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