Thomas Bauer
Fremdes Japan
KEN. Gut 1.000 Kilometer und 88 Stationen von Tempel zu Tempel rund um die Insel Shikoku sollen die Pilgernden von ihren Bedürfnissen und Anfechtungen befreien und auf das Nirwana vorbereiten. Thomas Bauer hat sich vier Wochen lang auf diese Wanderschaft gemacht und daraus seine Schlüsse gezogen: »Fremdes Japan«.
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Mit seinen Büchern lässt uns Thomas Bauer an außergewöhnlichen Arten des Reisens teilnehmen. Er war bereits mit dem Postfahrrad rund im Frankreich, mit dem Liegerad durch die Türkei, mit dem Hundeschlitten auf Grönland und auf dem Shikoku-Pilgerrundweg jetzt eben zu Fuß unterwegs, während andere schon mit dem Fahrrad nach Santiago de Compostela fahren. Seine Meditationen über das Reisen, das Leben an sich, über Urteile und Vorurteile passen großartig zu »Fremdes Japan«. Schließlich dient eine Pilgerreise, wenn ich meine Bekannten vom Jakobsweg frage, vor allem der Begegnung mit sich selbst.
Mit Pilgerbuch eigenen Vorurteilen auf der Spur
Der Pilgerrundweg von Shikoku ist mit über 1.000 Jahren weitaus älter als der »Camino«. Ich kannte Shikoku vor »Fremdes Japan« trotzdem nicht und habe in diesem Sinn dank Thomas Bauer eine Menge Neues gelernt. Irgendwie bin ich mitgewandert, habe mich bei den eingestreuten Märchen und Weisheiten entspannt und fühlte mich durch die Passagen zur japanischen Geschichte unterhaltsam weitergebildet. Dazwischen »traf« ich Thomas Bauer »persönlich« und sah mich mit seinen Bedenken und vorgefassten Meinungen in der Art von »Alle Japaner sind ...« mit meiner eigenen ethnologischen Geschichte konfrontiert. Siehe unten.
Als Thomas Bauer nach vier Wochen rund um Shikoku herum wieder bei Start ankommt, fühlt er sich »am Anfang von etwas Neuem«: »Ich selbst war ein anderer geworden … Der Pilgerweg hat mich stärker gemacht; er hat mir aufgezeigt, dass ich mich auch in einer fremden Umgebung ganz gut zurechtfinden konnte. Anders gesagt, gab es keinen Anfang und kein Ende, und der Pilgerweg war zeitlos.«
Das mit dem Zurechtfinden in der fremden Umgebung hat mich als Fazit überrascht, denn Thomas Bauer hat sich als Reisender bereits in vielen Umgebungen mutig bewegt. Und dass die Sonne auf den Mond und der Mond auf die Sonne folgt, hat nicht nur in Japan zu schlauen Erzählungen und philosophischen Betrachtungen geführt. In vielen Kulturen ermöglicht erst das Ende des einen den Anfang von etwas anderem – und sei es nur eine weitere Runde des Gleichen in anderer Gestalt. Manche Pilger wandern den Shikoku-Rundweg deshalb gleich mehrfach.
»Alle Japaner sind höflich. Niemand hat dort eine eigene Meinung, und zum Frühstück gibt es rohen Fisch.« – Mit diesen schlichten Ansichten beginnt Thomas Bauer seine Pilgerschaft, ansonsten gut ausgestattet mit regenfestem Strohhut, Stab, leichtem Gepäck und insgesamt gekleidet in der Grundfarbe Weiß für den Tod. Die Strecke rund um Shikoku ist perfekt mit Wegweisern, Unterkünften, Ess- und Trinkstationen ausgestattet. Wer morgens um sechs frühstückt, hat seine Tagesetappe um 17 Uhr hinter sich. Trotzdem vermute ich, dass Thomas Bauer vor allem die Nacharbeit in der Schreibstube zuhause in München oder Stuttgart genutzt hat, um seine Meditationen mit zusätzlichen Zahlen, Daten und Fakten auf die Buchlänge schriftzustellen.
Daraus ist eine unterhaltsame Mischung aus Tagebuch, Reportage, Märchensammlung und Landeskunde geworden. Ich werde mich jedoch davor hüten, dass ich nach »Fremdes Japan« zu wissen glaube, »wie die Japaner sind«. Dafür wäre mir die Pilgerszene von Shikoku, einer von über 6.000 Inseln Japans, zu wenig.
Außerdem gab es in meiner Vorgeschichte Alfred Louis Kroeber (1876 – 1960). Dieser Anthropologe und Kulturrelativist begleitete in der Völkerkunde die Einführung der »teilnehmenden Beobachtung« als Prinzip der Feldforschung. Teilnehmende Beobachtung ist in etwa das, was Thomas Bauer als Pilger gemacht hat. Und doch hätte Alfred Kroeber gerade zu Japan eine Menge Fragen gehabt.
Alfred Kroeber war ein Zeitgenosse von Ruth Benedict (1887 – 1948), die mit »Chrysantheme und Schwert« einen zeitlosen Klassiker darüber verfasste, wie die Japaner »sind«. Ihren Schülern zufolge sollten Feldforscher mehrere Jahre in einer anderen Kultur und mit den Menschen dort verbringen, am besten sogar in einer Rolle, die es ohnehin dort gibt. Nach einem vollständigen Jahreszyklus sollten sie ihre gesamten »wissenschaftlichen« Notizen vernichten – und wieder ganz von vorne anfangen.
Nur so könnten sie sich von ihren Außensichten, dem positiven wie negativen Kulturschock, der Idealisierung des Fremden wie auch der Überheblichkeit gegenüber diesem Fremden lösen. Erst dann hätten sie (vielleicht) einen Zugang zur Innensicht der gastgebenden Kultur, könnten diese mit ihrer Außensicht kritisch abgleichen und aus diesen zwei Seiten der gleichen Medaille einen einigermaßen wissenschaftlichen Beitrag machen.
Reiseschriftsteller brauchen all das nicht. Sie wollen und sollen unterhalten. Das tut Thomas Bauer in seinem ganz persönlichen Bericht, und zum Glück erkennt auch er am Ende an, dass die Japaner eben nicht »so« sind, sondern es genau so viele Schattierungen in dieser für ihn so regelhaften Kultur gibt wie anderswo auch. Diese Vielfalt annehmen zu können, ist schon ein Stück Weisheit, so wie 1.000 Kilometer bei Wind und Wetter zu Fuß in knapp vier Wochen eine sportliche Herausforderung sind, aus der man körperlich gestählt herauskommt. Das gilt auf Shikoku für Pilger im Teenageralter wie für Reiseschriftsteller um die 40 und erst recht für die über Siebzigjährigen, für die die Vorbereitung auf den Tod von Tempel zu Tempel eine andere Dringlichkeit haben mag.
Bei dem Tempo, mit dem selbst die Senioren unter den Mitpilgern von Thomas Bauer unterwegs sind, dürfte die Zahl der Begegnungen eher gering sein. Man sieht vermutlich meistens die Rückseite der Vorderleute. Und der Gegenverkehr hat höchstens das gleiche Ziel, wenn es um die Erleuchtung geht. Geographisch will er zunächst einmal etwa das Gegenteil.
»Fremdes Japan« war für mich schon beim Lesen eine Art Pilgerreise. Das ist etwas anderes, als professionellen Wanderern stellvertretend die eigenen Kuscheltiere mit ins Gepäck zu geben oder die Reise gleich vom Wohnzimmer aus auf dem Smartphone abzuwischen. Auch das ist heute möglich. Eine Urkunde zum Pilgerweg der 88 Tempel auf Shikoku bestätigt Thomas Bauer jedoch als »Henro«, der wirklich da war. Als Botschafter des Shikoku-Pilgerwegs soll er seine Erfahrungen weitergeben, was er hiermit getan hat.
Vier Wochen sind frei nach Alfred Kroeber nur ein Augenaufschlag in der Begegnung mit einer anderen Kultur. Nach »Fremdes Japan« von Thomas Bauer hatte ich das Gefühl, wenigstens ein bisschen länger hingeschaut zu haben. Und auch das hat sich gelohnt.
Einen Auszug aus dem Buch »Fremdes Japan« lesen Sie auf Globalscout.
Mit freundlicher Genehmigung von Thomas Bauer.